Corona Krise Paradox

Ein 1. Mai im Ausnahmezustand liegt hinter uns. Bundesweit gingen Menschen trotz und gegen autoritäre Staatlichkeit auf die Straße. Auch in Aschaffenburg fand eine Fahrraddemonstration unter Versammlungsbeschränkungen statt (siehe Artikel „Fahrraddemo am 1.Mai„). Ungefähr 100 Menschen beteiligten sich an der Fahrt durch die Innenstadt.

Während der DGB schon im März alle Versammlungen abmeldete und die gesellschaftliche Linke bundesweit eher wenige Menschen auf die Straßen mobilisierte, gewinnt im Zuge der Corona-Pandemie seit wenigen Wochen eine ganz andere Bewegung, auch international, an Zulauf:

Eine Allianz aus Rechtsextremisten, Verschwörungsgläubigen, Rechtsesoterikern, „Reichsbürgern“ und Impfgegnern geht angesichts der Corona-Krise auf die Straße, angeblich um für den Erhalt des Grundgesetzes zu demonstrieren. BNR

Bis zu 180 Menschen, über eine Telegram-Gruppe namens „Corona Rebellen Miltenberg Aschaffenburg“ und Facebook mobilisiert, demonstrierten vorgestern durch die Aschaffenburger Innenstadt. Ohne Parolen oder Transparente, aber teilweise mit Grundgesetzbüchern ausgestattet, zogen die vorgeblichen Spaziergänger*innen vom Marktplatz aus über den Dalberg und durch die Fußgängerzone wieder zurück zum Ausgangspunkt. Während es bei einer ähnlichen Veranstaltung in Würzburg zu gewalttätigen Übergriffen von Teilnehmer*innen kam, blieb die Demo in Aschaffenburg friedlich.

Wurde die 1. Mai-Demo und Mobilisierung noch durch umfangreiche und vom Infektionsschutz bestimmte Auflagen vom Ordnungsamt Aschaffenburg eingeschränkt, konnte die Versammlung der selbsternannten „Rebellen“ ohne Einschränkungen und unangemeldet ablaufen. Es waren zwar einige Polizeikräfte vor Ort, diese beschränkten sich jedoch auf die Verkehrsregelung. Die Veranstalterin der Versammlung erhielt nach eigenen Angaben eine Strafanzeige, zeigte sich jedoch sehr verständnisvoll und zufrieden mit dem Verhalten der Polizei. Infektionsschutz oder Mindestabstand wurden bewusst und angekündigt nicht eingehalten. Wenn man an das übliche Herumgezackere mit Aschaffenburger Odnungsamt und Polizei denkt, ein mehr als erstaunliches Verhalten. Wir werden es uns merken.

Dass im Zuge der Pandemie absurde und lächerliche Verschwörungstheorien einen Höhenflug erleben, verwundert nicht. Zeiten der Unsicherheit und Angst schüren irrationale Welterklärungstheorien, das ist keine neue Erkenntnis. Scharlatane und selbsternannte Propheten treffen auf „Erwachte“, die begierig alles aufsaugen, was sich bei ner Flasche Wein so zusammenspinnen lässt.
Und schnell ist man „Rebell“, wenn man sich erst einmal eine Windmühle imaginiert hat, die es zu bekämpfen gilt. Eine verbindende Einstiegsideologie ist derzeit offenbar die Impfgegnerschaft. Unter Corona-Vorzeichen verdichtet sich hier die Angst vor staatlichen Zwangsmaßnahmen mit einer wissenschaftsfeindlichen Grundhaltung zu einem existentiellen Bedrohungsgefühl.
Man könnte verwundert mit der Schulter zucken und sich abwenden. Doch die Mobilisierungskraft – und auch die Bereitschaft zu „zivilem Ungehorsam“, nichts anderes war die gestrige Demonstration – verlangt Wachsamkeit.
Denn es handelt sich, entgegen dem behaupteten Kampf gegen autoritäre Zuspitzungen und Gesetzesverschärfungen, auch um ein Milieu, dass völlig unkritisch auf faschistische Unterwanderung reagiert bzw. bereits entsprechende Positionen vertritt. So werden in der Telegram-Gruppe unkommentiert Reichsbürgerpropaganda und Videobeiträge von führenden Rechtsextremisten wie Martin Sellner geteilt.


Die Mitglieder der Gruppe werden durch eine Administratorin zwar ab und an zur Ordnung gerufen, eine Aussage wie „Bill Gates sollte vergast werden“ aber nur mit einem lapidaren „Sagen wir mal geimpft“ kommentiert. Die Assoziation zu antisemitischen Äußerungen ist kein Zufall, sondern eines der verbindenden Elemente dieser Bewegung. Daneben noch massenhaft und in hoher Frequenz allerlei krude Behauptungen und unhaltbares Verschwörungsgeschwurbel.
Es verwundert kaum, dass in diesem Umfeld auch die führenden Köpfe von „Fridays gegen Altersarmut“ wieder auftauchen (siehe Artikel „Eine üble Mischung?„).

Insgesammt erscheint das Spektrum der teilnehmenden sehr heterogen. Eine inhaltliche Ausdifferenzierung hat noch nicht stattgefunden, der derzeitige Bewegungsaufschwung (siehe bundesweite Entwicklung) verhindert dies scheinbar noch. Dennoch werden sich die Teilnehmer*innen irgendwann entscheiden müssen. Wer mit dem Grundgesetz in der Hand für seine staatlich gewährten Rechte demonstriert, wird nicht lange neben überzeugten Reichsbürgern oder Faschisten stehen wollen. Wem es wirklich um Freiheit geht, wird sich nicht mit dem X-ten Bösewicht und Strippenzieher der „NWO“ als falsche Erklärung für die Zustände der Welt zufrieden geben können, sondern die sozialen und ökonomischen Strukturen in den Blick nehmen müssen. Letztlich schützt es Niemanden vor der Erkrankung an Covid-19, die reale Bedrohung auf finstere Mächte zu projezieren.

Dass die Corona-Krise etwas mit uns allen macht ist unbestreitbar. Doch davon dürfen wir uns nicht Ohnmächtig machen lassen. Die staatlich verordneten Maßnahmen sind schwer zu schlucken, vor allem in ihrer Widersprüchlichkeit. Die Kontaktsperre können die wenigsten auf der linken Arschbacke absitzen, ohne unter den negativen Begleitumständen zu leiden. Ob fehlendes Miteinander oder Bedrohung der eigenen Existenz. Dass es weiterhin Widerstand und Kritik am staatlichen Vorgehen gibt, ist notwendig – genauso wie der Kampf gegen die Pandemie. Dazu aus unserem Redebeitrag zum 1. Mai:

Steigende Mieten, Arbeitsüberlastung für die einen – Hartz IV für die anderen, weniger Lohn für Frauen, Kriege um Rohstoffe und eine Umwelt, die langsam aber sicher kollabiert: Der Kapitalismus war auch vor Corona ein Zustand individueller und gesellschaftlicher Krisen. Jetzt wird die Pandemie eine gigantische Wirtschaftskrise nach sich ziehen. Das Virus ist ein Brandbeschleuniger, der bestehende Ungleichheiten noch verstärken wird.
Die Herrschenden werden versuchen, die Folgen der Krise auf uns abzuwälzen. Und im Falle sich entwickelnden Widerstandes werden sie auch in Versuchung kommen, auf die Maßnahmen zurückzugreifen, die jetzt zur Eindämmung des Virus eingeführt wurden: Versammlungsverbote, Handyüberwachung, Ausgangssperren…
Organisieren wir uns für die Kämpfe gegen die krisenhaften Folgen von Corona und halten wir die Perspektive auf ein anderes Morgen aufrecht!

Mit einem Widerstand aber, der sich freiheitlich gibt und Spielball autoritärer Kräfte ist, ist nichts zu gewinnen sondern verdammt viel zu verlieren.

Wenn ihr in eurem Bekanntenkreis mit diesen Positionen konfrontiert werdet, dann haltet dagegen. Klärt auf. Es gibt gute Infos und Artikel, z.B. bei corrective.org , Blick nach Rechts oder Volksverpetzer.
Wenn ihr tiefer in die Thematik einsteigen wollt, ist das im Alibri-Verlag erschienene Buch von Bernd Harder: „Verschwörungstheorien: Ursachen – Gefahren – Strategien“ ein guter Einstieg. Auch andere Bücher von Alibri, die sich kritisch mit kruden Gedankengebäuden beschäftigen, sind empfehlenswert.

Und natürlich gilt:

Hey, ihr Corona-Schwurbler: Ihr seid nicht “kritisch”, ihr seid peinlich!

 

 

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