Kommentar: Eindrücke vom ersten Aschaffenburger Ratschlag

Eindrücke zum ersten Aschaffenburger Ratschlag aus linker Perspektive von unserem Redaktionsmitglied tacko.


Der Sprung von der theoretischen Diskussion in die Praxis ist gemacht. Über viele Monate hinweg haben rund ein dutzend Menschen die Idee eines Aschaffenburger Ratschlags diskutiert und eine erste Versammlung vorbereitet.

Nach den vielen coronabedingten Online-Treffen war die real life Diskussion in den Aschaffauen eine willkommene Abwechslung und ein gelungener Auftakt.

Ob und welche Initiative zum Thema impress Gelände folgt, ist noch völlig offen. Sollte etwas entstehen ist das in jedem Fall zu begrüßen. Sollte es bei der einmaligen Versammlung bleiben, wäre es trotzdem kein Schuss in den Ofen. Im Gegenteil: für das Projekt Ratschlag war es richtig und wichtig erste Praxiserfahrungen zu sammeln. Denn wie in der Selbstdarstellung der Initiative geschrieben, ist der Übergang von der theoretischen Kopfgeburt zur praktischen Umsetzung „immer auch ein experimenteller Geh- und Lernversuch.“
Zumal das Projekt auch nicht den Anspruch hat eine Gruppe oder Organisation zu sein, sondern dazu gedacht ist einen Raum zu schaffen, „in dem sich Menschen finden können, um gemeinsam Initiativen anzustoßen.“  Und genau dieser Anspruch wurde am letzten Sonntag voll erfüllt.

Aus linker Perspektive waren für mich drei Dinge besonders spannend:

Zum ersten die Vielfalt der unterschiedlichen Beiträge, wobei es überraschenderweise zu keinen kritischen oder gar abfälligen Einwürfen gegenüber den geäußerten Ideen kam. Ich hatte durchaus im vornherein die Befürchtung, dass unter den Anwesenden auch Menschen sein werden, die mit „unseren Spinnereien“ nichts anfangen können oder nach 5 Minuten kopfschüttelnd das Feld verlassen.

Im Gegenteil: die Anwohner*innen und Interessierte beteiligten sich, blieben zum Großteil vor Ort und es schien insgesamt ein Konsens zu herrschen, dass das Gelände in jedem Fall den Einwohner*innen dienen und für sie nutzbar gemacht werden sollte, bei gleichzeitiger Ablehnung das Gelände an Investor*innen zu verschachern oder ein weiteres Gebiet in Form eintöniger Wohn- und Geschäftsquartiere zu errichten.

Das sind in jedem Fall gute Ausgangsbedingungen für eine mögliche Initiative, die eine gesellschaftliche Aneignung des impress Geländes fordern möchte.

Das Zweite Interessante am Ratschlag war, dass insgesamt relativ wenige Menschen aus der überschaubaren linke Szene Aschaffenburgs teilnahmen. So abwechslungsreich das auch war,  bin ich dennoch über das Fernbleiben aus so manchem Spektrum überrascht. Eventuell fühlen sich viele vom Format des Aschaffenburger Ratschlags (noch) nicht angesprochen oder sehen darin keinen Nutzen für ihre politische Arbeit.

Eventuell kann die für die Zukunft vom Ratschlag angedachte zweimonatliche Vokü, als Möglichkeit für lockeren Austausch zwischen politisch Aktiven, Anreize für ein breiteres Spektrum schaffen.

Insofern bleibt zu hoffen, wenn die am Sonntag aus verschiedenen politischen Initiativen Anwesenden in ihren jeweiligen Gruppen ordentlich für das Projekt Ratschlag werben.

Der dritte für mich interessante Aspekt war die auffällige Zurückhaltung politischer Aktivist*innen. Diese beteiligten sich recht zaghaft und konsumierten mehr oder weniger die Wortbeiträge. Es ist natürlich angenehmer für alle Beteiligten, wenn redegewandte Linke öffentliche Diskussionen nicht an sich reißen, auch einfach mal zuhören, ohne im MLPD-Style jede zur Verfügung stehende Bühne mit wortgewaltigen Reder*innen zu entern. Aber die am Sonntag erfahrbare Zurückhaltung war schon irritierend. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man nicht zu diesem oder jenem Kommentar eine Meinung hat. Ein paar kritische Beiträge zu so manchem gesagtem, hätten der Sache sicher nicht geschadet.

Aber offensichtlich ist die Form einer öffentlichen Diskussion außerhalb von Szeneräumen und in einem nicht-linkem Umfeld mittlerweile ein für viele Aktivist*innen so ungewohntes Terrain, dass auch diese damit erst einmal auf Tuchfühlung gehen müssen oder mit solchen Situationen etwas überfordert sind.

(By the way: Während des Schreibens kam mir wieder einmal die Frage „Wie schwer zugänglich oder fremd müssen erst Veranstaltungen in unseren „Szene-Räumen“ auf Menschen wirken, die sich erstmals in diesem Umfeld bewegen?)

Doch wer gesellschaftliche Verhältnisse verändern will, kommt nicht um die Auseinandersetzung in und mit der Gesellschaft herum. Das zeigen nicht nur eigene  Erfahrungen, sondern auch der Blick in die Historie politischer und sozialer Revolutionen. Und wer Verhältnisse gar emanzipatorisch verändern möchte, der wird nicht drum herum kommen einen relevanten Teil der Gesellschaft auf seine Seite zu bringen. Und das wird nicht nur (!) mittels Aufklärung, Aktivismus oder radikaler Theorie & Kritik gelingen.

Ob so etwas wie einen Ratschlag, der sich explizit auf libertär-kommunalistische Ideen bezieht und einen Anspruch auf gesellschaftliche Veränderung verfolgt, ein wirksameres oder zumindest ein das Repertoire ergänzendes Mittel sein kann, muss sich wie so vieles in der Praxis beweisen.

Und ebenfalls wie bei so vielem anderen braucht es dafür einen langen Atem.

Möge der Anlauf mit dem Ratschlag erfolgreicher werden als die oft sehr kurzlebigen politischen Projekte der letzten Jahre.

tacko

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