Klimaaktivismus vor Gericht

Im November wurde ein Aschaffenburger IL Aktivist im Zuge der Beteiligung an einer Ende Gelände Aktion wegen Landfriedensbruch verurteilt. Wir haben ihm zur Aktion, seinem Prozess und dem Thema Repression ein paar Fragen gestellt.


361°: Du wurdest vor kurzem wegen Landfriedensbruch vor dem Amtsgericht Grevenbroich verurteilt. Hintergrund ist deine Beteiligung an einer Ende Gelände Aktion im Juni 2019. Damals protestierten tausende Klimaaktivist*innen im rheinischen Braunkohlerevier für einen sofortigen Kohleausstieg und forderten „system change not climate change (Infos und Video dazu gibt es hier). Kannst du uns kurz schildern, in welcher Form du dich an den Aktionen beteiligt hast?

Ich war bei einer Blockadeaktion von Ende Gelände im Grünen Finger unterwegs. Das bedeutet, dass ich und meine Bezugsgruppe uns in den Wochen und Monaten vor den Aktionsterminen mit den regionalen Ende Gelände-Strukturen vernetzt haben, um dann als Teil der Fingerstruktur bei einer Aktion des zivilen Ungehorsams mitzuwirken. Leider ist der Plan dann für mich nicht aufgegangen, aber der Grüne Finger hat sein Ziel auch so erreicht.

361°: Du sagtst, der Grüne Finger hätte sein Ziel erreicht. Was war das Ziel des Grünen Fingers? Und in welcher Situation hattest du dich wiedergefunden?

Im Zuge der Gesamtaktion bestand das Ziel des Grünen Fingers darin, die Gleise der Kohlebahn zu blockieren. Die Kohlebahn zieht sich durch das ganze Revier und verbindet die Tagebaue mit den Kraftwerken.
Dadurch sollte der Nachschub für das Kraftwerk Neurath unterbrochen werden, um den Co2-Ausstoß zumindest temporär zu unterbrechen. Die Blockade wurde dann über 40 Stunden aufrechterhalten. Den Zielort habe ich leider nicht erreicht. Nachdem wir zunächst vom Camp 10km zu Fuß nach Mönchengladbach gelaufen waren (Polizei hatte den Bhf Viersen gesperrt), fuhren wir mit dem Zug und etwa 700 Aktivist*innen nach Rommerskirchen, um auf dem schnellsten Weg die Blockadepunkte zu erreichen. In Rommerskirchen versuchte die Polizei dann erstmals an diesem Tag unsere Aktion zu stoppen. Wir mussten uns, wie zuvor in den Aktionstrainings geübt und abgesprochen, durch eine Polizeikette drücken. Kurz darauf wurde ich von Polizisten zu Boden gerissen und Ingewahrsam genommen, während sich der Grüne Finger dynamisch und unaufhaltsam seinen Weg bahnte 😉

361°: Wie lange warst du in Gewahrsam und was hat man dir später konkret vorgeworfen?

Tatsächlich wurde ich nach einer Personalienfeststellung vor Ort und ein paar hektischen Telefonaten der Beamten mit der Einsatzleitung nach kurzer Zeit am Bhf Rommerskichen wieder freigelassen. Mir wurde ein Platzverweis ausgesprochen, ich sollte mich in den nächsten Zug nach irgendwohin setzen. Da ich mir bei der Ingewahrsamnahme ziemlich heftig den Ellenbogen aufgeschlagen hatte und so eine Maßnahme eh kein Spaß ist, machte ich mich zurück auf den Weg ins Camp. Aus der Aktion war ich erstmal raus. Ein Polizist behauptete steif und fest, dass ich einem seiner uniformierten Kollegen einen Kniestoß an den Hintern verpasst hätte. Tatvorwurf lautete schon vor Ort Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§114 StGB), dazu kam dann noch Landfriedensbruch (§125 StGB).

361°: Mit dem §114 Stgb stand eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren im Raum. Durch den 2017 eingeführten „Bullenschubs-Paragraph“ kam es bereits zu einigen skandalösen Urteilen. Hattest du das Gefühl, dass im Verfahren ein belegbarer Verurteilungswille vorhanden war? Oder basierte die Anklage vielleicht eher aus der Absicht, mit der Repressionskeule Druck auszuüben, im Wissen, dass eine tatsächliche Verurteilung nach §114 gar nicht in Frage kommt? Und wieso wurdest du letzten Endes „nur“ zu Landfriedensbruch verurteilt?

Da kommen mehrere Aspekte zusammen. Der §114 ist ein übles Mittel der Repression und muss im Zusammenhang mit anderen Gesetzesverschärfungen und dem Diskurs über Polizeigewalt bzw. deren Leugnung durch das Innenministerium betrachtet werden. Der Paragraf bringt alle Menschen, die sich bei Versammlungen oder Aktionen zivilen Ungehorsams mit direkter Polizeigewalt konfrontiert sehen in Gefahr, für Nichtigkeiten eingeknastet zu werden.
Denn das Mindeststrafmaß liegt höher als es z.B. bei § 223 Körperverletzung der Fall ist.  Eine tatsächliche Körperverletzung muss für eine Anklage nach §114 aber gar nicht stattgefunden haben. Er öffnet der Willkür Tür und Tor und muss als politisches Kampfmittel kritisiert werden, das gezielt Aktionsformen wie das „Durchfließen“ von Polizeiketten kriminalisiert.
In meinem Fall zeigte sich ein gewisser Verfolgungs- und Anklagewille, der letztlich nur auf einer fragwürdigen, widersprüchlichen Zeugenaussage eines Polizisten basierte. Denn aus den Ermittlungsakten ließ sich entnehmen, dass eine eingesetzte Kamera der Cops Funktionsstörungen hatte und es keinerlei Videoaufzeichnung vom Grünen Finger ab Bhf Rommerskirchen zum Blockadepunkt gibt. Eine Beamtin, die im Laufe der Ermittlungen selbst ausführliche, schriftliche Zeugenaussagen machte, musste dann vor Gericht eingestehen, dass sie die angebliche Tat überhaupt nicht gesehen hatte. Der Vorwurf nach §114 wurde dann fallen gelassen, was den Staatsanwalt sichtlich ärgerte. Die Verurteilung wegen Landfriedensbruch war leider nicht abzuwenden – ziviler Ungehorsam in solchen Dimensionen und dann noch in flagranti erwischt… da hat man wenig Spielraum.

361°: Und wie sieht jetzt das Strafmaß nach der Verurteilung für dich aus?

Ich wurde zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen a 50,00€ verurteilt. Da zeigte sich die Staatsanwaltschaft auch absolut kompromisslos, eine Einstellung gegen Auflagen (ich habe keinerlei Vorstrafen) wurde kategorisch ausgeschlossen. Zusammen mit den Anwalts- und Gerichtskosten kommt da doch einiges Zusammen, das habe ich aber noch nicht schwarz auf weiß. Zu bereuen hatte ich nichts und zu erzählen erst recht nicht, insofern keine weiteren strafmildernden Aspekte.

361°: Zwischen Aktion und Verurteilung lagen fast eineinhalb Jahre. Wie belastend war die Ungewissenheit während dieser Zeit für dich?

Der Tatvorwurf mit der zu befürchtenden Mindeststrafe von 3 Monaten Haft hat es natürlich schon in sich. Als politische Aktivist*in beschäftigt man sich zwar immer wieder mit dem Thema Knast oder kennt Genoss*innen, die aus irgendwelchen beschissenen Gründen verknackt wurden oder in U-Haft sitzen, aber wenn es dann für einen selbst konkreter wird ist das nochmal anders belastend. Aus vergangenen Verfahren und Solidaritätsarbeit kannte ich bereits den Ablauf. Es vergingen erstmal einige Monate bis überhaupt etwas passierte. Zunächst kam Post vom Aschaffenburger Staatsschutz mit einer Vorladung. Damit bin ich zum Anwalt, dann wurde Akteneinsicht beantragt, Schreiben aufgesetzt und so weiter. Ab und zu beschäftigt man sich ein paar Tage damit, dann passiert wieder monatelang gar nichts. Irgendwann kommt die Anklage der Staatsanwaltschaft, man ärgert sich, dann überlegt man sich eine Verteidigungsstrategie für den Prozess. Zwischendurch führt man auch immer wieder Gespräche mit Genoss*innen. So ein Prozess sollte keine Privatangelegenheit sein, sondern auch politisch begleitet werden.
Ausgehend von der Aktenlage war mein Verteidiger recht optimistisch, dass es nicht zum Äußersten kommt, was einiges von der Anspannung genommen hat. Auf der Anklagebank zu sitzen ist natürlich auch keine angenehme Vorstellung. Aber am Tag des Prozesses wurde ich morgens von meinen Genoss*innen überrascht und verabschiedet und es gab eine solidarische Prozessbeobachtung vor Ort, das machte die Sache wesentlich erträglicher.

Hat nichts an Gültigkeit eingebüßt

361°: Erst eine sich ordentlich ziehende Zitterpartie, dann mehrere tausend Euro für Strafe und Prozesskosten, da bleibt am Ende schon die Frage: hat sich das ganze „gelohnt“?

Na klar. Ich nehm das nicht persöhnlich, sehe das eher als Mischkalkulation. Wenn nur eine Handvoll von 700 Leuten erwischt wird und der Rest das Ziel erreicht, ist das doch super. Kollektiv in die Aktion zu gehen, bedeutet dann auch kollektiv die Suppe auszulöffeln. Solange es nur um Geld geht… Das lässt sich meist irgendwie auftreiben, dafür organisiert man sich ja auch bzw. gibt es Strukturen wie das EG-Legalteam oder die Rote Hilfe. Man muss natürlich für sich selbst entscheiden, ob einem Inhalt und Art der Aktion zusagen und es wert ist, dafür den Kopf hinzuhalten. Beim Thema Klimawandel/System Change beantwortet sich die Frage von selbst

 

 

 


Das könnte dich auch interessieren …

6 Antworten

  1. MussDasSein sagt:

    Politisch führt man Prozesse eben nicht wenn man sie verschweigt und erst damit heraus rückt wenn es zu spät ist…

    • schlumpf sagt:

      Was für ein seltsamer Kommentar. Zu Spät für was?
      Es gibt viele Möglichkeiten, Prozesse und Ermittlungsverfahren politisch zu führen oder zu begleiten. Wie das passiert, ist vor allem Sache der Betroffenen. Auch wie öffentlich damit umgegangen wird. Antirepressionsarbeit ist Vertrauenssache.
      Ich hoffe dass die benötigte Kohle schnell zusammen kommt und danke für das informative Interview!

      • Schlumpfine sagt:

        Was für ein seltsamer Kommentar. Es ist zu spät den Prozess politisch zu führen du Gurke, er ist vorbei, gelaufen, verhandelt, der Zug ist abgefahren, das Urteil gesprochen, der Prozess WURDE geführt (Vergangenheit). Aber gleichzeitig steht im Text „So ein Prozess sollte keine Privatangelegenheit sein, sondern auch politisch begleitet werden.“ Das ist doch ein schlechter Witz, denn er wurde nicht begleitet, sondern jetzt erst öffentlich gemacht. Was heißt das nun? Alle anderen sollen ihre Prozesse politisch führen und Begleiten lassen, nur IL-Mitglieder nicht? Heißt es, dass ein Prozess schon politisch geführt wird wenn man mit Genossen darüber spricht? Ich gebe gerne die Antwort: Es ist mal wieder hohles Geschwätz.

        • schlumpf sagt:

          Danke für diesen erhellenden Kommentar. Hohles Geschwätz lese ich hier nur von jemandem, der offenbar keinerlei praktische Erfahrung in Soliarbeit hat. Und dann Leuten ans Bein pissen die grad Repression abbekommen. Unterste Schublade…

          • Mühsam sagt:

            An schlumpf: ich wage zu behaupten, dass es Schlumpfine sowieso nur um Diss geht.
            Allein die ins Spiel Bringung einer IL-Intention, „andere“ sollten Prozesse anders führen als man es selbst tun würde – wofür es im ganzen Text und Kommentar keinerlei Anhaltspunkte gibt und somit absolut an den Haaren herbei gezogen wirkt – spricht doch für sich.

            Don`t feed the troll.

  2. Nichts zu bereuen, nichts zu erzählen sagt:

    Der Maßstab politischer Prozessführung soll also der sein, ob ein laufender Prozess öffentlich begleitet wird.
    Wird er das nicht, ist er per se nicht politisch geführt?

    Mag sein dass das dein persönlicher Maßstab ist. Ich selbst halte das für anmaßend.

    Gurke, etc. kannst du gerne stecken lassen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert