Die Neonazis der #baseballschlaegerjahre

Nachdem ein Zeit-Redakteur ein Interview mit Hendrik Bolz, Rapper bei Zugezogen Maskulin, in der Wochenzeitung Freitag gelesen hatte, griff er das dort angerissene Thema „Neonazis in den 90ern und 00ern“ auf und bat Leser*innen über ihre persönlichen Erfahrungen zu berichten. Zur Verbreitung sollte das Hashtag #baseballschlägerjahre genutzt werden. Einen lesenswerten Beitrag zu den Hintergründen gibt es hier bei Zeit online.

Mittlerweile haben in zahlreichen Artikeln, Tweets und Posts Menschen ihre Erfahrungen öffentlich geteilt. Schnell wurde klar, dass die damaligen Vorkommnisse deutschlandweite Erscheinungen und eben keine spezifisch ostdeutschen Vorkommnisse waren. Denn natürlich gab es auch im Westen entsprechende Vorfälle.

Wir wollen das Thema hier bei 361° ebenfalls aufgreifen und rufen unsere Leser*innen dazu auf, von ihren Erfahrungen mit den #baseballschlägerjahren zu berichten. Uns geht es ganz bewusst auch darum, ein Stück Zeitgeschichte aus persönlichen, wenn auch subjektiven Perspektiven zu dokumentieren. Wenn ihr also einen Beitrag beisteuern wollt: haut in die Tasten!

In unserem ersten Artikel berichtet Mirco, 1982 geboren und aufgewachsen im Landkreis Miltenberg, von seinen Erfahrungen in der Region. Er lebt seit 2002 in Aschaffenburg und meint, dass ihn die Erfahrungen der #baseballschlägerjahre ein Leben lang geprägt haben.

 


 

Keine national befreite Zone, aber temporäre Angsträume

Ende der der 90er, Landkreis Miltenberg. Punk war schon lange keine neue Subkultur mehr. Aber auf dem Dorf konnte man damit noch provozieren: Schlecht rasierte Iros, Bundeswehrparkas auf denen die Deutschlandfahne abgerissen oder übermalt war. Dazu Band- oder Polit-Shirts, Docs mit einem roten Schnürsenkel. Und natürlich der quer über den Arsch hängende Nietengürtel. Das war ein häufiger Look junger Nachwuchspunks in der Provinz.

Das reichte vollkommen aus, um aufzufallen. Anders zu sein. Nicht nur optisch, sondern auch in der politischen Haltung. Gepaart mit der Vorstellung, dass es abseits der Dorfmentalität und des Spießertums noch etwas ganz anderes gab. Alte Alben von Normahl, Slime, Toxoplasma, Wizo und Schlachtrufe-Sampler lieferten den passenden Soundtrack.
Suff, Kippen, Partys, erste sexuelle Erfahrungen und Konzerte. In vielem ähnelte man dann der normalen Dorfjugend doch mehr als man sich eingestehen wollte. Trotzdem erlebte man sich selbst als radikal anders. Und wollte es ja auch sein.

Wir waren zwar immer in der Unterzahl, aber trotzdem gar nicht so wenige. Und auf den Schulhöfen waren „wir“ nicht zu übersehen: die diversen Spielarten jugendlicher Subkulturen. Punks, Hippies, Metaller, Skater, Gothics.

Neben den meisten Normalos und den vielen Poppern gab es aber auch noch die ganz anderen. Die, die auch nochmal anders aussahen. Bomberjacke, Koteletten, Domestic-Hose (hochgewickelt), Springerstiefel. Manchmal, trotz jugendlichen Alters Seitenscheitel. Überwiegend jedoch Glatze.
Kein Klischee, sondern Mehreits-Look unter den Faschos. So nannten wir sie. Nicht Neonazis, nicht rechte Skinheads, sondern einfach Faschos. Der Look so martialisch wie hässlich. Ihre Art so scheiße wie aggressiv.

Dort wo man sie traf, hieß es immer aufpassen. Gerade an Wochenenden. Da wo Alkohol im Spiel war. Vor allem „uff Musik“. So nannte und nennt man die – heute eher nur noch selten stattfindenden – Konzerte diverser Coverbands in den Turnhallen der hiesigen Region.
Und dort waren sie immer. Die Faschos. Mal nur zehn, meist aber um die dreißig. Immer als eine Gruppe. Selbst bis zu fünfzig auf einem Haufen waren keine Seltenheit.

Aufgeplatzte Lippe. Blaues Auge. Zugeschwollenes Gesicht. Geprellte Rippen. Hämatome. Schürfwunden. Nicht nur einmal. Öfter. Eine Zeit lang sogar meine persönlichen Begleiter nach regionalen Dorfevents. Körperlich zum Glück nie schwerverletzt oder nachhaltig geschädigt. Trotzdem vereinzelte Momente, in denen ich dachte: „Scheiße, jetzt bringen die mich oder jemand anderes um.“

Die Ursache? Mein Aussehen. Punk. Und Punk = antifaschistisch. Und diese Formel hatte ihre Berechtigung, auch wenn das „antifaschistisch“ inhaltlich nicht sonderlich tief unterfüttert war.

In den Augen der Faschos war man damit vogelfrei. Eine Zeckenschwein. Wahlweise auch Judensau oder einfach nur Schwuchtel. Auf jeden Fall irgendwas, was kein Recht auf körperliche Unversehrtheit hatte. Etwas, das man behandelt wie den letzten Dreck.

Die Tatorte meiner Erlebnisse heißen nicht Heidenau, Marzahn oder Rostock. Sie hießen beispielsweise Niedernberg, Hofstetten oder Heimbuchenthal.

Szene 1 „uff Musik“: Ein Pulk von gut 30 Nazis wurden schon am frühen Abend der Musikveranstaltung auf mich aufmerksam. Nach einigen verbalen Provokationen folgten erste körperliche Attacken. Stumpereien und leichte Schläge im Vorbeigehen. Aber der Mob ließ von mir ab. Keine Stunde später waren sie wieder da. Etwa fünf Faschos prügelten gleichzeitig auf mich ein bis ich zu Boden ging. Es folgten unzählige Tritte gegen Kopf und Körper.

Die vielen Schläge gegen den ungeschützten Kopf erzeugten nicht nur eine ordentliche Erschütterung, sondern auch dumpfe unheimlich laute Schläge. Ein unangenehmes Geräusch an das ich mich noch immer erinnern kann.

Die Mischung aus Adrenalin, Alkohol und Angst machte den Schmerz halbwegs erträglich und vor allem benebelten sie.

Halb weggetreten merkte ich noch, wie man mich an den Füßen über eine Straße zerrte. Statt mich einfach in den Straßengraben zu werfen, haben sie sich etwas anderes überlegt. Sie rotzten mir ins Gesicht, spreizten meine Beine und eine Faschofrau trat mir mit voller Wucht in den Unterleib. Sie ließen mich liegen und wendeten sich wieder der Party zu.
Das ganze passierte nicht abseits, dort wo es keiner mitbekam. Nein, es war vor dem Eingangsbereich eines Festzelts. Mit vielleicht 1.000 Besucher*innen.

Im Nachhinein denke ich, dass das Ende dieser Prozedur kein zufälliges war. Es passt zum sexistischen Weltbild der Nazis: eine scheiß Zecke bekommt vom vermeintlich schwachen Geschlecht in das Zentrum vermeintlicher Männlichkeit getreten. Das Finale also, als vermeintlich maximale Form der Demütigung.

Szene 2 „im Freibad“: Abends, immer dann, wenn sich die Liegewiesen zu leeren begannen und Familien mit ihren Kindern zum Abendessen aufbrachen, hieß es aufmerksam sein. Dann hatten sie nämlich Feierabend. Und ab und an kamen sie eben auch. Die Faschos.
Sie kamen als Gruppe, pöbelten als Gruppe, waren aggressiv als Gruppe. Nicht ein einziges Mal hat es mich im Freibad erwischt. Ich war immer aufmerksam. Andere aber nicht. Einem haben sie mit Stahlkappenstiefel so traktiert, dass wir den Aufprall der Tritte auf Kopf und Körper in ungefähr 20 Meter Entfernung hören konnten. Das Opfer gab wimmernde Laute von sich und bettelte, dass sie doch aufhören sollten. Es war ekelhaft.

Mir wurde klar, wieso es im eigenen Kopf so laute poltert, wenn auf einen eingeschlagen und getreten wird. Es ist einfach eine extrem rohe Form der Gewalt.

Zum Eingreifen waren wir zu wenige. Nichts haben wir getan. Doch wir hätten auch dann nichts getan, wenn wir viele gewesen wären. Bei diesem Vorfall war das Opfer nämlich kein Punk. Es war selbst ein Fascho. Und unsere Wut wäre damals zu groß gewesen, um einen der ihren beizustehen. Sollten sie sich doch untereinander ihre Schädel eintreten…

Warum seine „Kameraden“ ihn derart traktierten, haben wir nie erfahren. Aber das wirklich besondere an diesem Moment war, dass es keine Veranstaltung am Wochenende war. Es war unter der Woche, gegen Abend. Vielleicht 17:30 Uhr. Es war kein Alkohol im Spiel. Es zeigte uns, dass sie keine Grenzen kannten. Und, dass ihre Gewalt nichts war, was einfach nur im Rausch ausgelebt wurde. Sondern, dass es für sie etwas Normales war, dass man nicht verstecken musste. Selbst untereinander.
Sie sind, nachdem sie die andere Glatze zusammengetreten hatten, nicht panisch geflüchtet. Sie gingen schwimmen. Und danach irgendwann nach Hause. Sie hatten auch keine gerufene Polizei zu befürchten. Die wenigen jungen Leute, die von der Tat mitbekommen hatten, waren eingeschüchtert. Der Malträtierte selbst hatte wohl aus Angst einer weiteren Abreibung kein Interesse den Vorgang zur Anzeige zu bringen.

Schuld wären ich und meine Freunde an den Problemen selbst. Wir könnten uns anders anziehen oder bestimmte Orte einfach meiden. Dann hätten wir unsere Ruhe. Das hörten wir nicht nur einmal von Eltern oder Schulkolleg*innen.

Doch das wollten wir nicht. Auf keinen Fall. Es galt für seine Einstellung einzustehen. Die Faschos auf keinen Fall gewinnen lassen, in dem man klein beigibt.
Für andere mag das pubertär gewesen sein. Für uns nicht.
Auch wenn natürlich eine gewisse jugendliche Anti- und Verweigerungshaltung nicht zu verleugnen war.

Aber die Eltern und Freunde, die einem gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gaben, hatten auch irgendwie recht. Man konnte den Faschos aus dem Weg gehen. In dem man sich einfach anpasste, unauffällig verhielt oder keinen Widerspruch gegen ihre Anwesenheit kenntlich machte.
Für die meisten Normalbürger*innen dürften Faschos nie überhaupt auch nur ein Thema gewesen sein. Sie dominierten auch keine Straßen oder Dörfer. Dort spielte sich auch nichts ab, was sie hätten dominieren können. Und auch im Alltag waren sie selten präsent.

Doch es gab diese Anlässe. In denen sie als Gruppe zusammenfanden. Und gemeinsam „Spaß“ haben wollten. Gewalt schien dabei ein integraler Bestandteil ihres Spaßverständnisses zu sein, dass sie ganz öffentlich und ohne Skrupel auslebten.

Bei diesen Anlässen errichteten sie temporäre Angstzonen. Doch nur gegen spezielle Gruppen wie Punks, Linke oder „Türken“. Alle anderen hatten eigentlich ihre Ruhe vor ihnen und konnten unbehelligt feiern. Hätte man als Punk diese Orte gemieden oder sich dort zumindest unauffällig bewegt, wäre einem wahrscheinlich nichts passiert.

Mit heutigem Blick zurück scheinen terroristische Organisationen wie der NSU, dessen Mitglieder und Umfeld aus der frühen Generation #baseballschlägerjahre vorwiegend stammten, keine Ausnahme, sondern logische Folge einer extrem gewalttätigen Neonaziszene aus dieser Zeit. Einer Szene, in der vor allem auch Rechtsrock als Begleitmusik zu Mord und Totschlag, unverblümt und auf primitivste Art und Weiße anheizte. Einer Szene die bundesweit auch von straff organisierten Strukturen durchzogen und gefestigt und noch dazu von staatlichen Geheimdiensten hofiert und finanziert wurde.

Was aus dieser Zeit bleibt? Ein Vorgeschmack auf wie es ist, wenn sich Nazis ausbreiten. Wenn sie ungestört in Gruppen in mitten von „Normalos“ feiern können. Wenn sie lediglich als eine Gruppierung von vielen anderen angesehen werden, die es zu tolerieren gelte. Und auch eine Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn Faschos tatsächlich zur dominanten gesellschaftlichen Kraft werden und ihrer vor Gewalt triefenden Ideologie freien Lauf gelassen wird.

Ansonsten bleibt der Respekt gegenüber allen denen, die in rechten Hochburgen leben und sich dort jeden Tags aufs Neue behaupten müssen. Nicht klein bei, sondern contra geben. Bei denen Angsträume nicht temporär, sondern Alltag sind.
Und zuletzt noch die Gedanken an all die, die sich – selbst wenn sie es wollten – nicht anpassen können. Die ihre Hautfarbe nicht einfach wechseln, ihre sexuellen Vorlieben nicht einfach abstreifen oder aufgrund fehlender Papiere ihren Wohnort nicht einfach verlassen können. Und somit ständig ins Visier rechter Gewalt und neonazistischem Terror geraten können.

Die beiden geschilderten Erlebnisse spielten sich im Jahr1998 und 1999 ab. Es gäbe noch so viel mehr zu berichten.

Meine Freunde und ich waren zu den Zeitpunkten 16,17, 18 Jahre jung. Teenager.
Die Faschos hingegen nur selten gleich alt. Die meisten Anfang 20. Nur wenige der älteren gingen auf die 30 zu.

Heute, wenn ich im Landkreis unterwegs bin, sehe ich manche von ihnen noch ab und an bei zufälligen Begegnungen. Etwa an einer Kreuzung im Auto, wenn sie ebenfalls auf grün wartend, neben mir stehen. Oder beim Einkaufen.

Die meisten von Ihnen sind heute 40 plus. Haben oft mehrere Kinder im Schlepptau. Einige scheinen mit extrem rechter Politik zumindest optisch nichts mehr zu tun zu haben. Einen Teil hat es dem Augenschein nach in Rockerkreise verschlagen.
Aber es gibt auch einige, die immer noch szenetypische Kleidung tragen. Kleidung und Marken, welche oft nur auf den zweiten Blick und nur für Kenner*innen erkennbar sind.

Andere präsentieren noch immer gut sichtbar ihre nationalsozialistischen Tattoos und verwenden entsprechende Codes auf ihren Autonummernschildern. Die Nummern 88 (88 = HH = Heil Hitler) oder 28 (28 = BH = Blood and Honour) scheinen unter diesen älteren Neonazis heute noch so beliebt wie damals.

Alleine das weckt wieder die Gewissheit, wie ernst sie es damals schon gemeint haben. Und wahrscheinlich immer noch meinen.

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Eine Antwort

  1. rf sagt:

    Literaturempfehlung:
    Jochen Schmidt, Politische Brandstiftung
    Warum 1992 in Rostock das Asylbewerberheim in Flammen aufging

    Jochen Schmidt gehörte zum ZDF-Team, das damals mit etwa 120 Vietnamesen in einem brennenden Haus eingeschlossen war. Rechtsextremisten und Ausländerfeinde hatten es unter dem Beifall der Umstehenden angezündet. Wer zog damals die Fäden?
    Der Autor hat jahrelang recherchiert und Material entdeckt, das belegt: Politiker in Bonn, Schwerin und Rostock wollten ein Fanal. Und sie legten geschickt die Brand-Sätze.
    Ein Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen ging 1992 in Flammen auf. Der rechtsextremistischer Anschlag, bei dem 3.000 aufgeputschte Bürger applaudierten, sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Jetzt wird offenbar, daß es sich bei dem Vorfall um eine politisch opportune Inszenierung handelte.
    Mit einem Nachwort von Prof. Reinhard Kühnl, Marburg.

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