Interview mit riseup4rojava Aschaffenburg

Anfang der Woche gab Donald Trump bekannt, die US-Truppen aus der demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien abzuziehen. Im dortigen Gebiet, vielen bekannt als „Rojava“ (zu dt. in etwa „der Westen“), entstand seit einigen Jahren ein von der kurdischen Freiheitsbewegung initiiertes demokratisch-sozialistisches Projekt. In diesem wird basisdemokratisch und selbstbestimmt das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen und Religionsgemeinschaften organisiert, wobei die Themen Ökologie und Geschlechtergerechtigkeit eine zentrale Rolle spielen.

Nur zwei Tage nach dem begonnenen Teilabzug der amerikanischen Streitkräfte startete am 09.10. der vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan schon lange angekündigten militärische Einmarsch – und damit ein Angriff auf das revolutionäre Gesellschaftsprojekt in Rojava.

Weltweit organisieren sich Menschen in Solidaritätskomitees um Protest und Widerstand zu organisieren und somit einen Beitrag zur Verteidigung Rojavas zu leisten. Unter anderem die Kampagne „Defend Rojava“, unter derem Label auch in Aschaffenburg Menschen aktiv sind.

Aus aktuellem Anlassen haben wir Tom dazu ein paar Fragen gestellt.

361°: Tom, du bist aktiv bei „Defend Rojava Aschaffenburg“. Seit wann gibt es euch und was war der konkrete Anlass zur Gründung eurer Initiative?

Tom: Einen genauen Startpunkt gab es eigentlich nicht. Die Revolution im nordostsyrischen Rojava begann ja bereits im Jahr 2012. Vor etwa ein bis zwei Jahren festigte sich schließlich ein Freundeskreis an Leuten, welche von den Ideen und der Praxis vor Ort begeistert waren. Als Anfang diesen Sommers dann noch weitere Unterstützer_innen hinzu kamen, festigten wir uns als Gruppe unter dem Namen „Defend Rojava Aschaffenburg“. Vor kurzem sind wir nun auch dem Aufruf der Internationalistischen Kommune in Rojava gefolgt und haben mit anderen Gruppen ein breites „Riseup4Rojava Aschaffenburg“-Bündnis gegründet.

361°: Welche Ziele verfolgt ihr mit eurer Kampagne?

Tom: Die internationale Kampagne Riseup4Rojava hat das Ziel auf Tag X, also dem Einmarsch der Türkei und verbündeter jihadistischer Milizen in Rojava, aufmerksam zu machen. Das Gesellschaftsprojekt Rojava hat einen Raum geschaffen, in dem neue Konzepte der Basisdemokratie, der Frauenbefreiung und der Ökologie in die Praxis umgesetzt werden. Wir wollen darauf aufmerksam machen, was hier alles auf dem Spiel steht. Das sind Ideen und gelebte Demokratie, die uns ein Vorbild sein kann. Im größeren Kontext ist dieser Krieg natürlich auch eine Gefahr für die ganze Region. Dieser Krieg wird Tote, ethnische Säuberungen, Zerstörungen, Fluchtbewegungen, und ein Erstarken des Islamischen Staats zur Folge haben.

Wir wollen uns mit dem Widerstand gegen diesen Angriff solidarisieren und auf die Situation vor Ort hier in Aschaffenburg aufmerksam machen.

Wir haben als Bündnis schon bereits ein wenig Vorarbeit geleistet. Der Einmarsch kam dann leider doch etwas unerwartet früh.

361°: Ihr habt am „Tag X“ zu einer spontanen Kundgebung auf den Theaterplatz mobilisiert. Wie ist es gelaufen?

Tom: Wir mussten sehr kurzfristig mobilisieren. Obwohl wir nur 2 Stunden Vorlaufzeit hatten kamen schließlich sogar 60-70 motivierte Personen. Als wir dann los wollten und die Polizei vorbei kam, um uns die Auflagen mitzuteilen, mussten wir leider erst mal feststellen, dass es nicht im Interesse der Polizei war, an diesem Abend sichtbaren Protest zuzulassen. Die vorgebrachten Argumente der Polizei schienen wenig überzeugend. Als während der Verhandlung mit der Polizei klar wurde, dass ein zumutbarer Kompromiss wohl nicht zustande kommt, löste sich die Versammlung am Theaterplatz eigenständig auf und zog mehr oder weniger geschlossen zum Stern um den Abend ausklingen zu lassen. Auf dem Weg
ließen es sich einige nicht nehmen Parolen für Rojava zu rufen. Die Polizei reagierte nun fast schon panisch. Mit aggressivem Fahrverhalten samt Blaulicht und Martinshorn in der Herstallstraße versuchten sie die Menschen auf dem Weg zum Stern zu stoppen. Die Leute in der Herstallstraße liefen aber einfach an der Polizei vorbei. Selbst im Stern angekommen hielt es die Polizei angemessen, den Stern mit mehreren Polizeiautos zu belagern.

Bei uns hat der Vorfall gestern Unverständnis und ein wenig Wut ausgelöst. In Rojava sterben jetzt wieder viele Menschen und die Polizei in Aschaffenburg ist nicht mal bereit uns eine kurze Route durch die belebte Innenstadt zu gewähren. Wir wollen einen sichtbaren Protest.

361°: Wie schätzt ihr die derzeitige Situation in Rojava ein?

Es ist schwer an Informationen zu kommen momentan. Die Türkei und Assad haben die Telefon und Internetleitungen gekappt. Es gibt aber bereits einige sichere Informationen. Die Invasion der Türkei findet momentan auf voller Breite der Grenze statt. Auf dem Boden und in der Luft. Gerade die Bombardements durch Artillerie und Flugzeuge der Türkei haben
leider bisher sehr viele zivile Todesopfer erzeugt. Erfreulicherweise konnten die die nordsyrischen Verteidigungseinheiten in einigen Städten die Bodenoffensive bereits aufhalten bzw. stark verlangsamen. Wir werden die kommenden Tage beobachten müssen, wenn wir sehen wollen, wie sich die Vorstöße entwickeln. Parallel zu den Kämpfen entwickeln sich momentan auch größere Fluchtbewegungen der nicht-kämpfenden Bevölkerung. Leider werden auch diese Flüchtlingskonvois durch Luftangriffe und IS-Schläferzellen bedroht. Generell hat die Aktivität des Islamischen Staats wieder stark zugenommen seit Beginn des Angriffs. Die Lage ist also sehr ernst.

361°: Gibt es schon konkrete Pläne wie es mit eurer Initiative weiter geht?

Tom: Bereits am Freitag, den 11.10.2019 werden wir eine Demo in Aschaffenburg durchführen. Wir laden alle Menschen ein, die gegen diesen völkerrechtswidrigen Krieg sind, mit uns auf die Straße zu gehen. Wir treffen uns um 18 Uhr vor der Buchhandlung Diekmann in der Herstallstraße.

Am Samstag, den 12.10.19 gibt es dann noch eine regionale Großdemo in Frankfurt. Wir rufen ebenfalls auf, um 14:30 Uhr am Kaisersack vorm Frankfurter Hbf zu sein.

Wie in vielen anderen Städten wird es auch in Aschaffenburg noch weitere, auch kreativere, Aktionen geben, um auf den Krieg und das Projekt Rojava aufmerksam zu machen.

361°: Wer mehr Informationen sucht oder euch unterstützen möchte, wohin können sich Interessierte wenden?

Tom: Wir hatten bisher leider noch nicht die Zeit ein eigenes Social Media zu erstellen. Alles was wir so machen kann man aber auf der Facebookseite des Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum e.V. Aschaffenburg mitbekommen.
Ansonsten gibt’s auch Infos auf den Social-Media-Kanälen unserer regionalen Bündnispartnern „Defend Rojava Rhein-Main“ und „Riseup4Rojava Rhein-Main“.
Wenn ihr aktiv mitgestaltet wollt, dann sprecht uns gerne auf den kommenden Veranstaltungen in Aschaffenburg an.

361°: Wir danken für die Beantwortung der Fragen!


Bericht von Riseup4Rojava Aschaffenburg:

Polizei beschneidet Demonstrationsrecht – Statement zur Tag-X-Demonstration in Aschaffenburg am 09.10.19

Heute versammelten sich spontan etwa 60-70 Menschen auf dem Aschaffenburger Theaterplatz um an Tag X ihren Unmut auf die Straße zu bringen. Bevor es mit der Demo losgehen sollte, kam die Polizei herbeigeeilt, um uns die Auflagen mitzuteilen. Wie sich nach einigem hin und her herausstellte, hatte die Aschaffenburger Polizei kein Interesse daran, sichtbaren Protest zuzulassen. Sie argumentierten, sie könnten nicht den Verkehr regeln oder die Demo schützen, falls es zu Angriffen vom AKP-Anhängern käme. Trotz entgegenkommenden Vorschlägen, die Route ohne wenig Straßenkreuzungen und für die Polizei angenehmer festzulegen, lehnte die Polizei eine Demonstration ab. Außerdem erklärte der sich freiwillig gemeldete Anmelder der Polizei, das man aus einer abstrakten Angst vor türkischen Faschisten nicht einfach das demonstrieren verbieten könne.

Die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen führte dazu, dass sich während des Gesprächs mit der Polizei die Versammlung auf dem Theaterplatz eigenständig auflöste und sich größtenteils spontan in Richtung Kneipenkollektiv Stern aufmachte.
Einige Teilnehmer der Gruppe ließen es sich dabei nicht nehmen, Parolen für Rojava und gegen das AKP-Regime zu rufen.

Die Polizei versuchte daraufhin mehrmals durch aggressives Fahren mit Blaulicht und Martinshorn, die durch die Innenstadt laufende Gruppe aufzuhalten. Auch im Stern angekommen, konnte es die Polizei nicht lassen, die
Örtlichkeit mit mind. 3 Polizeiautos zu belagern. Selbst Stunden später war noch Polizei präsent.

Wir als Riseup4Rojava Aschaffenburg werden es uns nicht nehmen lassen, unseren Widerstand in vielfältiger Form auf die Straße zu tragen! Wir werden auch weiterhin in Aschaffenburg und im Rhein-Main-Gebiet präsent sein!

Wir verurteilen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit.
Wir fordern in Zukunft von Stadt und Polizei Aschaffenburg weiteren Protest nicht nochmal einzuschränken.


Anmerkung der Redaktion: Für aktuelle News und Hintergrundinformationen empfehlen wir folgende Internetseiten:

Rojava  – Einführungsbuch in das basisdemokratische Experiment
DefendRojava RheinMain aktuelle News aus der Region auf Facebook und Twitter
ANF – News aus und über die kurdische Bewegung
Rojava  – Einführungsbuch in das basisdemokratische Experiment
Make Rojava Green again – ökologische Solidaritäts Kampagne

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