Harry Freudenthal – ein Berliner Jude läuft für den Endsieg

Eine Kurzbesprechung des Romans „Ich war Hilters Trauzeuge“ von Peter Keglevic, zuerst erschienen bei Knaus 2017.

Für Volk und Führer – unversehens taumelt der Protagonist Harry Freudenthal in die Startreihen des 13. Volkslaufes „Wir laufen für den Führer“. Knapp ist der sich seit Jahren auf einer irrwitzigen Flucht befindende Berliner Jude dem sicheren Tod entronnen, war doch seine Tarnung soeben aufgeflogen und er den Nazi Häschern in die Hände gefallen. Wäre da nicht Leni Riefenstahl mit ihrer Kamera in diesem Moment dabei gewesen, die nicht gut aufgestellte Läufertruppe in propagandistisch effektvolle Startformation zu bringen. Angesichts der nicht gerade vorzeigbaren Ausbeute an jungen, kraftstrotzenden Recken im April 1945, kommt der blonde Harry nicht an der enthusiastischen Filmemacherin vorbei und wird so zu Paul Renner mit Startnummer. Harry, dessen Familie bereits ausnahmslos von den Nazis ermordet worden war, macht den Schergen damit erneut einen Strich durch die Rechnung. In Rückblenden wird von seiner Flucht und seinen Lebensumständen der vorangegangenen Jahre empathisch erzählt.

Der propagandistisch effektvoll anvisierte 1000km Lauf von Berchtechsgarden bis zum Brandenburger Tor in 20 Etappen, begleitet und dokumentiert von „Team Riefenstahl“ und „Team Völkischer Beobachter“ (inklusive Konkurrenzkampf zwischen den vermeintlichen Profis und Dilettanten), soll mit dem persönlichen Überbringen von Geburtstagsglückwünschen an den Führer prämiert werden. Zweiter Preis ist eine BMW-Beiwagenmaschine. Als in diesen Tagen begehrenswerterer Preis führt dieser Umstand dazu, dass keiner der angetretenen Läufer wirklich siegen will.

Vor der bevorstehenden, unausweichlichen Niederlage Nazideutschlands führt der Durchhaltelauf durch bereits in Schutt und Asche liegende deutsche Städte direkt auf die Linien der immer weiter vorrückenden alliierten Streitmächte zu. Während alles was Beine hat aus Berlin zu fliehen sucht, rücken die Läufer immer weiter vor. Gespickt sind die Stationen von vielen unterhaltsamen Zwischenszenen – so eine ausgeschmückte Szene vom Aufeinandertreffen Leni Riefenstahls mit einer der Wagner Töchter in Bayreuth.

Während vor der Kulisse des zerfallenden Nazireichs sich die Riege der Läufer durch Fahnenflucht empfindlich dezimiert, hält Harry Freudenthal alias Paul Renner weiter durch und schafft es letztendlich in den Führerbunker. Auf grotesker Art und Weise bleibt hier dem tapferen Harry eine Begegnung mit der liebes- und heiratswilligen Eva Braun, dem dazu so gar nicht passenden, schwitzenden und furzenden Adolf Hitler und den geliebten Schäferhunden nicht erspart.

Mit viel Humor erzählt der Autor vom Irrsinn der Nazi Ideologie und blindem Glauben an den Endsieg in jeglichem gesunden Menschenverstand widersprechender Vehemenz in wunderbarer Absurdität. So spielen eine treue Mädelsscharführerin und ein afroamerikanischer Fallschirm GI eine relevante Rolle um den Lauf sicher zum geplanten offiziellen Ende zu bringen. Denn bald besteht gesteigertes Interesse der Amerikaner, Briten und Russen daran, wurden doch von Soldaten aller Streitmächte Wetten auf die Platzierungen der Läufer abgeschlossen.

Tragisch-komisch mit viel Humor, salopp und stellenweise rotzfrech kommt Keglevics pikaresker Roman daher, immer wieder schnürt das Lachen beim Lesen den Hals zu. An manchen Stellen verlangt das fast 600 Seiten starke Stück den Leser*innen Durchhaltevermögen ab, sei es dem Umstand geschuldet, dass der österreichische Autor 1979 als Filmregisseur reüssierte. Ein großer literarischer Wurf ist Peter Keglevics Erstlingswerk nicht, allerdings ein sehr unterhaltsamer mit einigen sicherlich in Erinnerung bleibenden Episoden als lesenswert zu empfehlender Roman in jedem Fall.

 

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