Zur Geschichte zweier Frauenbewegungen in Aschaffenburg – Teil 1

Ein Interview mit Dr. Monika Schmittner über die Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts in Aschaffenburg

Wie schon 2020 wollen auch in diesem Jahr Aschaffenburger FLINT mit dem „Feministischen März“ im Rahmen einer Veranstaltungsreihe unterschiedliche feministische Forderungen und Themen in der Stadt sichtbar machen. (Das Programm findet ihr hier)
Der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation ist in Aschaffenburg keineswegs neu, das Wissen über eine feministische Tradition – insbesondere im lokal- oder regionalgeschichtlichen Kontext – aber nur wenig präsent.

1995 hat die Politikwissenschaftlerin Monika Schmittner mit ihrer Dissertation „Frauenemanzipation in der Provinz“ eine Arbeit zu diesem Thema vorgelegt. Motivation für diese Auseinandersetzung war unter anderem ihr Engagement in der zweiten Aschaffenburger Frauenbewegung der 1980er Jahren. Zu beiden Bewegungen haben wir sie – einerseits in ihrer Rolle als Historikerin, andererseits in ihrer Rolle als Aktivistin – befragt. Wir veröffentlichen das Interview in zwei Teilen und stellen euch zunächst die erste Aschaffenburger Frauenbewegung in den Anfängen des 20. Jahrhunderts vor.

Teil 1: Die erste Frauenbewegung in Aschaffenburg

361°: Zunächst einmal, wie hat das Leben für eine Frau vor rund 120 Jahren in Aschaffenburg ausgesehen?

Das kommt darauf an: Die Frauen der Arbeiterklasse malochten zwölf Stunden am Tag in der Fabrik, sechs Tage die Woche, und versorgten „nebenbei“ noch Ehemann, Kinder und den Haushalt.

Frauen aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum dagegen saßen untätig herum. Den Haushaltskram erledigte das Dienstpersonal. Sie stickten, spielten Klavier und schlugen die Zeit mit anderen Dingen tot. Bildungsmäßig hatten sie ja nichts anderes genossen wie die „Erziehung zum Weibe“. Es gab nur wenige Schulen in Deutschland, an denen junge Frauen ihr Abitur machen konnten. Die Universitäten waren für Frauen geschlossen, Berufsausbildungen nicht vorgesehen. Frauen waren also nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die (Zwangs-)Ehe war praktisch die einzige Möglichkeit, um wirtschaftlich versorgt zu sein. Unverheiratete Frauen („alte Jungfer“) hatten Glück, wenn sie in den Haushalten der Geschwister ihr Dasein fristen konnten.

Frauenstimmrechtskongress 1912 in München mit anschließendem Demonstrationszug durch die Innenstadt. In der Mitte (mit Hut): Dr. Anita Augsburg (Quelle: Wikipedia)

361°: Der Titel deiner Dissertation lautet „Frauenemanzipation in der Provinz“. War die Entwicklung einer Frauenbewegung in Kleinstädten zu dieser Zeit eher untypisch? Auf welche Unterschiede im Vergleich zur Frauenbewegung in Großstädten bist zu gestoßen?

Es ist erstaunlich, welch großen Zulauf bürgerliche Frauenvereine auch auf dem Lande fanden. Das zeigt, dass die Not der Frauen überall gleich war. Der Verein für Fraueninteressen in Aschaffenburg z.B. hatte über 500 Mitglieder innerhalb kürzester Zeit. Er überholte damit sogar noch die renommierten Bürgervereine Frohsinn und Casino.

Während die Frauenbewegung in den Großstädten fast ausschließlich von ledigen Frauen getragen wurde (weshalb sie auch spöttisch „Fräuleinbewegung“ genannt wurde), engagierten sich auf dem Land mehrheitlich verheiratete oder verwitwete Frauen aus der Geschäfts- und Beamtenwelt und banden auch ihre Männer ein. In Aschaffenburg machten es die Frauen ihren großbürgerlichen Ehegatten geradezu zur Pflicht, sich in den Dienst der Frauenemanzipation zu stellen, und zwar sehr erfolgreich.

361°: Schon im 19. Jahrhundert – dem Jahrhundert der Vereinsgründungen – gab es eine Vielzahl von Frauenvereinen in Aschaffenburg. Wie haben sich deren Tätigkeiten von den Aktivitäten der Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts unterschieden und welche Forderungen waren neu?

Es gab schon immer karitative Wohltätigkeitsvereine im Dienste christlicher Nächstenliebe, z.B. Katholischer Frauenbund, St. Elisabethenverein etc. Diese Frauen verwalteten die Armut, ohne sie an den Wurzeln zu packen und nach den Ursachen zu fragen. Da war keinerlei revolutionäres Potential zu befürchten. Die bürgerliche Frauenbewegung dagegen stellte emanzipatorische Forderungen auf: nach höherer Schulbildung, Öffnung der Universitäten für Frauen, Ausbildungsberufe und selbstständige Berufstätigkeit, um wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen zu können, ohne heiraten zu müssen. Und es gab die Forderung nach gleichen politischen Rechten wie Männer, nach dem gleichen, geheimen aktiven und passiven Wahlrecht. Also Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen.

361°: Gab es für die Entstehung eine Art Schlüsselereignis? Wie ist sie in „Bewegung gekommen“.

Die Frauenbewegten haben überall und immer mehr die Ketten an ihren Füßen gespürt. Das ist der Motor, den es braucht, lautstark eine Änderung der Verhältnisse zu fordern.

361°: Wie kann man sich diese Bewegung vorstellen? Wie viele MitstreiterInnen hatte die Bewegung und wie hat sie sich zusammengesetzt.

In den Großstädten waren es in erster Linie die (nichtakademischen) unverheirateten Lehrerinnen (weil sie dem Zwangszölibat unterlagen), die sich engagierten, sowie die Ehefrauen aus dem gehobenen Bürgertum, die keine Existenzsorgen plagten, Frauen aus Beamtenfamilien, dem Adel und aus Militärkreisen. Diese hatten Zeit und Muße, sich für fortschrittliche Ideen einzusetzen. Es war eine große Bewegung. In Bayern z.B. gab es 36 Ortsgruppen des Vereins für Fraueninteressen mit einem (Mutter-)Verein in München. Alles, was in München Rang und Namen hatte, unterstützte die Frauenbewegung.

Aber in diesen Vereinen fanden sich keine Frauen der Arbeiterklasse. Es war eine reine Standesbewegung. Die Arbeiterinnen engagierten sich – wenn es die karge Freizeit zuließ – in der proletarischen Frauenbewegung der sozialistischen Parteien.

361°: Auf welche besonderen AkteurInnen bist du gestoßen?

Lida Gustava Heymann (1868-1943), eine der prominentesten Frauenrechtlerinnen in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg (Wikipedia)

In München waren es u.a. Ika Freudenberg, (Dr.) Anita Augspurg (sie war später die erste promovierte Juristin in Deutschland; Lida Gustava Heymann und viele andere mehr – Namen die heute kaum noch jemand kennt.

In Aschaffenburg gründete „Frau Kommerzienrat“ Anna Lenich im März 1903 den Verein für Fraueninteressen, unterstützt von der „Bauamtmannsgattin“ Emma Schaaff, der „Landgerichtsratswitwe“ Otty von Loewenich, der „Bürgermeisters- und Geheimratsgattin Anna von Medicus, der „Metzgermeistersgattin“ Eva Schmelzer oder auch der jüdischen „Kaufmannsgattin“ Emilie Oestreicher. An Ermangelung eines eigenen Berufs schmückten sich die Frauen damals halt gerne mit der Berufsbezeichnung ihrer Männer. Überhaupt engagierten sich viele Frauen aus der jüdischen Geschäftswelt .

361°: Die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen war für Frauen in dieser Zeit eigentlich noch verboten. Hat die Frauenbewegung dennoch explizit politische Ambitionen verfolgt oder sich davon abgegrenzt? Wie standen sie beispielsweise zur Frage des Frauenstimmrechts? Ein Bericht in der „Aschaffenburger Zeitung“ vom 10.2.1903 hatte den Frauen politische Ziele unterstellt. Kannst du einschätzen, ob dies ein Versehen oder Absicht war?

Ich kenne diesen Bericht nicht, aber Frauen war es bis 1908 strikt verboten, sich in politischen Vereinen zu engagieren oder sich politisch zu betätigen. In Preußen und Bayern verbot dies das Vereinsgesetz von 1850. Die Frauen umgingen diesen Paragrafen, indem sie ihre Vereine bewusst umständlich benannten. Der Verein für Fraueninteressen in München z.B. gründete sich 1894 als „Verein zur Förderung der geistigen Interessen der Frau“. Erst nach der Reform des Vereinsgesetzes konnte sich auch in Bayern eine politische Frauenstimmrechtsbewegung formieren, mit Dr. Anita Augsburg und Lida Gustava Heymann an der Spitze.

361°: Sind die Frauen in Aschaffenburg auf Gegenwehr gestoßen? Wie wurden ihre Aktivitäten in Aschaffenburg diskutiert?

Der Verein für Fraueninteressen war von Anbeginn gesellschaftlich akzeptiert und stieß auf keinerlei Kritik oder Gegenwehr.

Anna Lenich (1862-1920) war Gründungspräsidentin der Aschaffenburger Ortsgruppe des „Vereins für Fraueninteressen (Repro: Hans-Joachim Schmittner)

Der Verein für Frauenstimmrecht dagegen hatte es aus verschiedenen Gründen sehr schwer, in der Stadt Fuß zu fassen. Die Aktivistinnen wurden in der Presse zwar als „die Stimmrechtsweiber von Aschaffenburg“ diffamiert, aber sie waren keinen Anfeindungen ausgesetzt wie in anderen bayerischen Städten.

361°: Man kann also die Frauenbewegung in Aschaffenburg rund um den Verein für Fraueninteressen als eher gemäßigt einschätzen?

Ältere Publikationen unterteilen die alte Frauenbewegung in „gemäßigt“ (z.B. Verein für Fraueninteressen) und „radikal“ (Verein für Frauenstimmrecht). Diese Zuordnungen vermischten sich jedoch schon damals in der Provinz und werden auch in der aktuellen Literatur vermieden. In Aschaffenburg machte kein Frauenverein dem anderen die Daseinsberechtigung streitig, im Gegenteil, sie riefen ihre Mitglieder auf, an den jeweiligen Veranstaltungen des anderen Vereins teilzunehmen.

361°: Bildung war eine Kernforderung der bürgerlich – liberalen Frauenbewegung. Was konnten die Frauen hier erreichen? Wie hat sich die von ihnen gegründete Schule von anderen Schulen unterschieden?

Eine höhere Schulbildung (die aber nicht zum Abitur führte) konnten Mädchen in Aschaffenburg nur am Institut der Englischen Fräulein genießen, allerdings bevorzugt katholische Mädchen. Die „Königliche Höhere weibliche Bildungsanstalt“ (heute Dalberg-Gymnasium) nahm zwar auch evangelische Mädchen auf, doch keine dieser Schulen führte zum Abitur. Daher beschloss der Verein für Fraueninteressen 1908 die Gründung eines „Töchterschulvereins“. In diesem engagierten sich die frauenbewegten akademischen Kreise in der Stadt. Ziel war die Errichtung einer privaten überkonfessionellen höheren Mädchenschule, die zum Abitur führte, das zum Studium berechtigte. Diese Schule – aus privaten Mitteln finanziert – wurde im März 1913 eingeweiht und stand Mädchen aller sozialen Schichten offen. In ihr wurde ein fortschrittlicher Unterricht erteilt; Schulleiterin war die (nichtakademische) Lehrerin Rosa Götz.

Werbeprospekt der höheren Mädchenschule des „Töchterschulvereins“ mit Pension „Spessartblick“ (Repro: Hans-Joachim Schmittner)

Allerdings stand die „Höhere Töchterschule“ (Volksmund) mit Pensionat unter keinem guten Stern. Nur 17 Monate nach der Einweihung begann der Erste Weltkrieg. Die männlichen Lehrer wurden eingezogen, die Mädchen mussten in die Lazarette. Es fand kein geregelter Unterricht mehr statt. Auch finanziell konnte sich die Schule nach Kriegsende und Inflation privat nicht mehr tragen; die Stadt vermochte nicht, sie zu übernehmen. So musste dieses fortschrittliche Projekt zur Emanzipation junger Frauen 1921 seine Pforten schließen. Heute ist in dem denkmalgeschützten Gebäude die „Belegklinik am Hofgarten“ untergebracht.

361°: Die AkteurInnen des Vereins stammten in erster Linie aus dem städtischen Großbürgertum. Hat dieser Umstand die Aktivitäten und Forderungen des Vereins beeinflusst? Gab es Versuche, auch die Lage der Frauen aus der Arbeiterklasse zu verbessern?

In dieser Frage war das Engagement der bürgerlichen Frauenbewegung ziemlich ambivalent, besonders in der Frauenberufsfrage. Für die Mädchen und Frauen der unteren sozialen Schichten boten die Aktivistinnen Haushaltskurse in Kochen, Waschen, Nähen, Bügeln, Flicken, Putzen und Frisieren an, um (ihr eigenes) Dienstpersonal zu qualifizieren – (das ist eine Unterstellung). Für die Frauen der mittleren und oberen Gesellschaftsschicht richtete der Verein berufsorientierte kaufmännische Handels-, Schreibmaschinen-, Stenografie- und Fremdsprachenkurse an. Zu den Sorgen und Nöten der proletarischen Frauen hatten sie keinen Zugang.

361°: Gab es weitere Aktivitäten des Vereins für Fraueninteressen?

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gelang es den Vereinsaktivistinnen, in neue, traditionell von Männern besetzte (und von diesen heftig verteidigte!) Berufsfelder im sozialen Bereich vorzudringen. Nach langen Jahren zähen Kampfes gelang es ihnen 1912, anstelle der entwürdigenden Armenfürsorge ausgebildete, hauptamtliche „soziale Arbeiterinnen“ durchzusetzen. Sie setzten sich als Armen- und Waisenpflegerinnen durch und qualifizierten sich als Jugendfürsorgerinnen und Wohnungsinspektorinnen. Sie legten damit den Grundstein für die klassische städtische Sozialarbeit, so wie wir sie heute kennen.

In der Dalbergstraße 39 befand sich das frühere Vereinshaus des „Vereins für Fraueninteressen“ (Hans-Joachim Schmittner)

Sie richteten in ihrem Vereinshaus in der Dalbergstraße 39 eine Volksbibliothek mit fortschrittlicher Literatur ein, die allen Schichten offenstand und besonders intensiv von Arbeiterfamilien in Anspruch genommen wurde. Übrigens: 1934 beschlagnahmten die Nazis den Bestand der Volksbibliothek des Vereins für Fraueninteressen. 2000 der insgesamt 3000 Bücher bildeten den Grundstock für die im gleichen Jahr eröffnete und bis heute existierende städtische Volksbücherei bzw. Stadtbibliothek.

Der Frauenverein kultivierte auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die die weibliche Lebensrealität zum Thema und somit politisch sichtbar machte. Durch Vorträge (zu denen die prominentesten Frauenrechtlerinnen anreisten!) und Diskussionsabende z.B. über Mädchenhandel, Jugendfürsorge, Heim- und Kinderarbeit, Mutterschutz, Kinder- und Säuglingssterblichkeit, „Das moderne Mädchen“ etc. machten sie sich sachkundig und übten sich in Rhetorik und politischen Debatten. Diese „Großen Vortragsabende“ erwiesen sich als ausgezeichnetes öffentlichkeitswirksames Instrument und waren stets sehr gut besucht.

361°: Neben der bürgerlich – liberalen Frauenbewegung gab es mit dem Verein für das Frauenstimmrecht auch eine „radikale Bewegung“. Waren es die Forderungen, die „radikaler“ waren oder die Art und Weise, wie der Verein agiert hat?

Die Frauenstimmrechtlerinnen zählten eher zum sogenannten „radikalen“ Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Radikal war damals ihre Forderung nach dem gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht für Frauen. Für sie war das Frauenstimmrecht nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern der entscheidende Hebel, das Fundament zur Schaffung von Rechtsgleichheit in Familie, Beruf und öffentlichem Leben.

361°: Gab es einen Austausch oder Überschneidungen zwischen beiden Vereinen?

Es gab keine Konkurrenz zwischen den beiden Vereinen – dem Verein für Fraueninteressen (gegr. 1903) und dem Verein für Frauenstimmrecht (gegr. 1909). Der Verein für Fraueninteressen hatte als Avantgarde den Weg für die Wahlrechtsforderung geebnet und unterstützte sie selbst, indem er seine Mitglieder immer wieder öffentlich auf die Veranstaltungen und Aktivitäten des Stimmrechtsvereins aufmerksam machte.

361°: Wie hat sich der Verein für das Frauenstimmrecht entwickelt? Wieso hat er sich letztendlich aufgelöst?

Ankündigung eines Vortrags von Lida Gustava Heymann in der „Aschaffenburger Zeitung“ vom 10. Oktober 1909 (Repro: Hans-Joachim Schmittner)

Seine Entwicklung war aus verschiedenen Gründen problematisch (u.a. gab es zu lange einen männlichen (sic!) Vorsitzenden), der Stimmrechtsverein konsolidierte sich aber am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit mehr als 100 Mitgliedern und SympathisantInnen. Mit der Ausrufung des Rats der Volksbeauftragten während der November-Revolution 1918, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben und dass die Frauen von nun an aktiv und passiv wählen können, war der Verein für Frauenstimmrecht quasi überflüssig geworden, denn das Ziel war erreicht.

361°: Und wieso hat der Verein für Fraueninteressen seine Aktivitäten eingestellt?

Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 und den Gleichschaltungsbestrebungen der Nazis in allen Lebensbereichen wurde auch der Verein für Fraueninteressen vor die Alternative gestellt, entweder der nationalsozialistischen Frauenschaft beizutreten oder sich aufzulösen. Seit seiner Gründung 1903 hatten sich viele Aschaffenburger Jüdinnen engagiert, die jetzt den Verein verließen, um dessen „arischen“ Fortbestand nicht zu gefährden. Im Januar 1934 beschloss der Verein die „freiwillige“ Selbstauflösung, um der Gleichschaltung zu entgehen. Die damalige Vorstandsfrau Berta Mayer vertrat die Meinung: „Auflösung kann für unsere jüdischen Mitglieder immerhin als eine Art Genugtuung gelten, die wir ihnen schuldig sind.“

361°: Was ist von beiden Vereinen geblieben?

Verblüffend ist, dass nur wenige Aschaffenburger*innen wissen bzw. wussten, dass es schon vor dem Ersten Weltkrieg eine starke Frauenbewegung in der Stadt gegeben hat. Auch als sich in den 1980er Jahren eine neue Frauenbewegung formierte, wussten wir nichts von und über unsere Vorkämpferinnen.

361°: In den 1990er Jahren warst du die erste, die sich diesem Thema angenommen hat. Davor haben die Quellen lange Zeit im Archiv vor sich hingestaubt. Gibt es einen Grund, warum dass Thema eine so lange Zeit nicht beachtet wurde?

Das kam so: Mit der Zerschlagung der bürgerlichen Frauenbewegung durch die Nationalsozialisten wurde nicht nur die weibliche Emanzipation an ihren Wurzeln empfindlich getroffen, sondern auch das Wissen um die ersten Feministinnen gründlich verschüttet. Nach Kriegsende plagten die Frauen andere Sorgen, als sich ihrer Ausgrenzung aus der Geschichte zu widersetzen.

361°: Im Vorwort deiner Dissertation hattest du geschrieben, dass du „frauengeschichtssüchtig“ bist. Wie bist du dazu gekommen, dich mit einem solchen Thema zu beschäftigen? War dies dein Einstieg in das Thema oder hat es dich schon länger begleitet?

Dr. Monika Schmittner ist Politikwissenschaftlerin und hat u.a. zur Gewerkschaftsbewegung, NS-Zeit und Frauenbewegung im regionalen Kontext publiziert.

Ich bin durch Zufall im Stadt- und Stiftsarchiv auf das Bücherverzeichnis der Volksbibliothek mit dem Stempel des Vereins für Fraueninteressen gestoßen und war erstaunt, denn die gesamte „neue“ Frauenbewegung in Aschaffenburg in den 1980er Jahren wusste nichts von unseren frühen Feministinnen. Das weckte meine Neugier, und nach sehr langen und langwierigen Recherchen konnte ich die Geschichte der ersten Aschaffenburger Frauenbewegung nachzeichnen; es gab leider keine Zeitzeuginnen mehr.

 

In der zweiten Folge befragen wir Dr. Monika Schmittner zu ihrer Rolle in der zweiten Aschaffenburger Frauenbewegung.

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