Enteignung als Teil kommunaler Baulandstrategie

In Berlin begann am 06.04.2019 die Unterschriftensammlung der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sehen die Initiator*innen in der Enteignung von Immobilienunternehmen – mit einem Bestand > 3.000 Wohnungen – ein probates Mittel im Kampf gegen steigende Mietpreise. Die Kampagne hat bereits jetzt bundesweit für Furore gesorgt.

Während das Thema in der Hauptstadt die Gemüter erhitzt, bringt die Kommunale Initiative (KI) Aschaffenburg das Thema in die lokalpolitische Debatte ein.

In einer aktuellen Stellungnahme schreibt die KI:

„Auf Kapitalinteressen und Spekulation, die dem Gemeinwohl offensichtlich zuwiderlaufen, muss die Stadt Aschaffenburg angemessen reagieren. Und als Ultima Ratio auch mit dem Mittel der Enteignung.“

Bei der Stadtratssitzung am 01.04.19 wurde das Thema Baulandstrategie behandelt. Der von der KI eingebrachte Punkt stieß dort auf deutliche Ablehnung und eine Mehrheit des Stadtrats will Enteignungen prinzipiell ausschließen. Das Main Echo berichtete darüber am 12.04.19.

Wir haben KI-Stadtrat Johannes Büttner dazu ein paar Fragen gestellt.


361°: Hallo Hans, als Stadtrat hast du für die KI zum Thema Baulandstrategie eine Stellungnahme in den Stadtrat eingebracht. Wie sieht die Situation in Aschaffenburg aktuell aus? Woran hakt es und was müsste sich deiner Meinung nach ändern?

Hans: In Aschaffenburg sind ca. 20 bis 60 % des Baulandes in Bebauungsplangebieten seit Jahren unbebaut. Nötiges Bauland wird gehortet. 4000 Wohnungen fehlen. Auch Wohnungsleerstände werden von Eigentümern hingenommen. Entweder zum Spekulieren oder zur ungenehmigten Nutzungsänderung für Airbnb o.a. als Ferienwohnung. Wir haben eine Wohnungsknappheit. Missbrauch von Wohn- und Grundstücks-Eigentum führt zu Mietsteigerungen bei knappem Angebot und zu massiven Preissteigerungen bei Grundstücksverkäufen. Menschen mit mittlerem Einkommen können sich kein Grundstück mehr kaufen – große Investoren bestimmen den Markt – und die Mehrheit der Mieter leiden unter Mietsteigerungen und Mietwucher. Diese Besitzer von Grund und Boden, die auf ihren Grundstücken sitzen bleiben und spekulieren, sind mitverantwortlich für diese Entwicklung. Was ist zu tun?
Die Stadt müsste über die beschlossene Baulandstrategie Flächen erwerben, um diese für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Eine solche Strategie ist zwar beschlossen, die Umsetzung ist aber strittig, weil viele Stadträte das scharfe Schwert der Androhung einer möglichen Enteignung ablehnen.
361°: In der Positionierung der KI wird das Mittel der Enteignung als Ultima Ratio gegen Grundstücksspekulation genannt. Populismus, werden da sicher einige wettern. Was steckt wirklich dahinter? Nur Provokation oder tatsächlich vorhandene Handlungsmacht?
Hans: Missbrauch von Eigentum verstößt gegen unsere Verfassung. Eigentum soll dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Nach der bayerischen Verfassung hat das Eigentums- und Besitzrecht keinen Rechtsschutz mehr, wenn offenbarer Missbrauch vorliegt. Das bedeutet, dass bei Missbrauch des Eigentums auch eine Enteignung mit Entschädigung zum Wohle der Allgemeinheit in Frage kommen kann. Die rechtlichen Voraussetzungen sind dafür in Bayern gegeben und wurden auch schon angewandt. Das ist zwar nur das letzte Mittel – es sollte aber nicht ausgeschlossen werden, um mit Besitzern Vereinbarungen zu schließen, damit der Wohnungsbau – auch der geförderte Wohnungsbau – durch die Stadt und in der Hand der Stadt umgesetzt werden kann.

361°: Wie fielen die Reaktionen in der Stadtratssitzung auf die Positionierung aus?

Hans: Die Diskussion hat sich vor allem an der Frage „Enteignung“ verschärft. CSU-, FDP- und auch Teile der SPD-Stadträte wollen nun verfassungswidrig den Missbrauch des Eigentums zum Schaden der Allgemeinheit schützen. Für sie ist dies ein unzulässiger Eingriff des Staates in die Freiheit der Bürger und hätte wohl einen sozialistischen Beigeschmack, viele Menschen würden diesen Begriff auch deshalb ablehnen. Allen voran der ehemalige CSU-Justizminister und der FDP-Bundestagsabgeordnete.
Diese Stadträte sind wohl der Meinung, dass, wer als Grundbesitzer in Baugebieten diesen Boden zu Spekulationszwecken hortet und nicht für den Wohnungsbau zur Verfügung stellt, dies auch weiterhin tun darf ohne mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen.
Leider haben diese „Volksvertreter“ vergessen, was ihre eigenen Parteioberen damals beschlossen und gewollt haben. Die Verfassungsväter – ob Adenauer (CDU) oder Schumacher (SPD) haben nicht nur zur Belustigung „Eigentum verpflichtet“ in die Verfassung eingefügt. Bei Missbrauch entfällt der Schutz des Eigentums: „Offenbarer Missbrauch genießt keinen Rechtsschutz“, so der Vater der bayerischen Verfassung, der ehemalige SPD-Ministerpräsident Hoegner im Artikel 158. Sanktionsmittel bei Missbrauch, d.h. bei Verstößen gegen die Verfassung, können nicht außer Kraft gesetzt werden. Auch Stadträte können dies nicht. Das ist wie: Bei Rot über die Ampel fahren wollen wir zwar nicht, ist Missbrauch der Freiheit, bestrafen tun wirs aber nicht.


361° Welchen Effekt würdet ihr euch von Enteignungen erhoffen? Und was sollte die Stadt mit enteignetem Eigentum konkret anfangen?

Hans: Die Androhung ist Druck und die Anwendung ist ja nur das letzte Mittel. So haben das andere Städte ebenfalls in ihrer Baulandstrategie festgeschrieben. Die KI hätte natürlich gerne vorrangig die Methode der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme angewandt. Das bedeutet, dass dann der Bodenwert der Flächen in dem zu beschreibenden Baugebiet eingefroren wird. Die Eigentümer werden verpflichtet, die Ziele der städtebaulichen Maßnahme umzusetzen. Wer das tut, darf sein Grundstück behalten. Wer das nicht tut, wird mit Entschädigung zum eingefrorenen Zeitwert enteignet. Diese Methode wurde aber in dieser Sitzung nicht favorisiert, sondern nur die Methode des Zwischenerwerbs durch die Stadt. Wenn nicht alle Grundstücke erworben werden, bleibt dann nur das Druckmittel, dass dann keine Bebauung stattfindet und eine profitable Vermarktung für die Eigentümer nicht möglich ist. Der Stadtrat wird je nach Fall erneut entscheiden müssen, für was er sich einsetzt.

361°: Der Begriff der Enteignung ist hierzulande eher negativ belastet. Es hängt ihm der Geruch des repressiven Staatssozialismus à la DDR an. Wie passen Enteignung und Demokratie für dich zusammen?

Hans: Wie oben schon ausgeführt: Wir sind eine solidarische Gesellschaft. Freiheit hat die Grenzen, wenn sie die Gleichheit verletzt und beide zusammen die Solidarität zu stark einschränken. Ein schlauer Mensch hat mal gesagt, das alles steht in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Gemeinwohl geht vor Eigennutz – der Schaden für die Allgemeinheit ist zu minimieren, wenn Eigennutz und Egoismus die Ursache sind. Das Eigentum ist zwar geschützt – schadet es aber unverhältnismäßig dem Wohle der Allgemeinheit, wird es missbraucht, dann hat es keinen Rechtsschutz mehr und kann mit Entschädigung enteignet werden. Das alles ist sowohl über das Grundgesetz als deutsche Verfassung wie auch durch die bayerische Verfassung gedeckt und gewollt. Wer das nicht sieht, verstößt gegen Verfassungsgrundsätze einer demokratischen und sozialen Gesellschaft. Der deckt Egoismus und Profitgier zum Schaden der Allgemeinheit. Aber das sind wir doch bei den jetzigen Regierungen und ihren Ministern gewohnt. Die kriminellen Machenschaften der Banken, der Automobilindustrie decken und schützen – GBW-Wohnungen privatisieren und verscherbeln. Wir kennen die Verantwortlichen. Die Verfassungsgrundsätze kennen diese nicht.


361°: Wir danken dir für die Beantwortung der Fragen.

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